5 Tipps für einen ausbalancierten und losgelassenen Sitz
15.03.2021 (letztes Update 19.03.2021)
Hilfe geben - Hilfe aussetzen. So arbeitet man mit einem Pferd. Für Zügel, Schenkel und Gerte stellt das kein Problem dar - aber es gibt eine Hilfe, die man nicht aussetzen kann (solange man reitet): Den Sitz. Der Sitz ist die primäre Hilfe eines jeden Reiters, und gleichzeitig ist er oftmals das, was in den Reitschulen am wenigsten thematisiert wird. Viel zu wenige Reiter haben jemals "Sitzen gelernt" und stören ihr Pferd deshalb von oben, ohne es zu wissen. Deshalb habe ich heute 5 Tipps mitgebracht, wie du deinen Reitersitz ein Stück weit balancierter, losgelassener und kontrollierter machen kannst.
Tipp #1 - Bodyscan
Scanne deinen Körper während des Reitens von oben bis unten durch und fühle ganz bewusst in die einzelnen Körperteile hinein. Am besten schließt du dafür die Augen, wenn das mit deinem Pferd möglich ist (oder lässt dich führen), und konzentrierst dich jeweils einige Sekunden auf ein bestimmtes Körperteil. Gehe so von oben nach unten durch: Kopf, Hals, Schulterblätter, Brustkorb, Ober- und Unterarme, Hände, Rücken, Bauch, unterer Rücken, Hüfte und Becken, Sitzbeinhöcker, Po, Hüftgelenke, Oberschenkel, Knie, Unterschenkel, Fußgelenke, Fersen, Zehen, ... . So bekommst ein Gespür für deinen Sitz und deine Hilfen. Ohne korrigieren zu wollen, mache erstmal eine Bestandsaufnahme. Guck, wie jedes Körperteil sich bewegt, ob es schwingt oder eher fest ist, ob es einseitig "festhängt"...
Du kannst dir begleitend auch folgende Fragen stellen:
- Wenn man dir das Pferd unter dir wegnimmt, würdest du auf deinen Füßen landen? Oder auf dem Popo/der Nase? (Erstrebenswert: Man landet balanciert auf beiden Füßen)
- Kannst du eine (etwa) vertikale Linie von deinem Kopf über Schultern, Beckenknochen und Fersen ziehen? Oder steht ein Teil besonders hervor? (Erstrebenswert: Eine gerade Linie - Aber Vorsicht: Ein guter Sitz ist funktionell und dabei nicht immer ästhetisch!)
Achtung: Viele Reiter sitzen eher etwas nach hinten gelehnt - besonders im Trab, da dieser sich dann vermeintlich besser aussitzen lässt. Das mag vielleicht so wirken, in Wahrheit schadet es dem Pferd aber in mehreren Punkten: Zurücklehnen blockiert dein Pferd im Rücken und schiebt es auf die Vorhand. Auch wirkst du mit deinen Hilfen rückwärts ein, da dein Oberkörper mit den Händen zurückwandert und somit die elastische Verbindung zum Zügel unterbrochen wird - du kannst nicht mehr nachgeben. Versuche, immer eher etwas nach vorne geneigt zu sitzen, also "zum Zügel hin". Dies macht es deinem Pferd bedeutend leichter, dich zu tragen und verhindert, dass du mit den Zügeln oder deinen Hilfen rückwärts wirkst.
- Knickt deine Hüfte einseitig ab? Ist der Platz zwischen Beckenknochen und unterster Rippe also rechts oder links größer als auf der anderen Seite? (Teilweise ist solche "Schiefe" aber über Jahre entwickelt oder sogar angeboren, was nicht heißt, dass man nichts dagegen tun kann)
- Sitzt du mehr nach innen oder nach außen?
- Ist dein eines Bein/deine Hand/... verdreht?
Tipp #2 - Regelmäßige Sitzschulungen
Sitzschulungen an der Longe sind für Anfänger, denkst du jetzt vielleicht. Bitte nicht - Sitzschulungen sind unglaublich wichtig & wertvoll und sollten immer wieder gemacht werden - man lernt nie aus, erst recht nicht beim Reiten!
Eine außenstehende Person kann deinen Sitz nochmal auf äußere Symmetrie prüfen und gegebenfalls korrigieren. Auch sieht man hier Hyper- und Hypomobilitäten des Reiters sehr gut und nimmt auch am besten wahr, wie sich verschiedene Positionen aufs Pferd auswirken. Nur weil sich dein Sitz korrekt anfühlt, ist er das noch lange nicht - wir gewöhnen uns schnell an unsere Fehler und das Gehirn speichert sie als feste Bewegungsmuster ab, deshalb merkt man die meisten Fehler gar nicht, bis einen jemand darauf hinweist...
Auch neigen viele Reiter dazu, das Pferd (gerade im Schritt) im Takt mit der Hüfte "anzuschieben". Eine Angewohnheit, die die meisten Pferde stark aus ihrer Balance bringt - aber wir selbst merken es nicht, oder noch schlimmer: Wissen nicht, dass man es anders machen sollte.
Tipp #3 - Ohne Steigbügel/mit Pad reiten
Das sind zwei Geheimtipps für einen losgelassenen & ausbalancierten Sitz. Das regelmäßige Reiten mit Pad schult deine Balance & lässt dich den Körper des Pferdes besser spüren, denn du sitzt viel näher am Pferd und spürst so dessen Bewegungen ohne "Verzögerung" durch den Sattel. So kannst du auch gleichzeitig an deinen eigenen Asymmetrien arbeiten, ohne Sattel musst du dich deutlich mehr selbst balancieren und bemerkst so schneller, wenn du irgendwo blockiert bist oder das Gleichgewicht verlierst. Ein "perfekt"-erscheinendes Aussitzen kann mit dem Pad plötzlich ziemlich holprig werden... Andersherum kann man das mit Pad erlernte geschmeidige, ruhige Aussitzen prima mit in den Sattel nehmen.
Interessant: Besonders "schwungvoll" erscheinende Pferde sind fast immer einfach nur stark auf der Vorhand. Mit zunehmender Versammlung wird der Trab immer leichter auszusitzen (auch in Verstärkungen!).
Ohne Steigbügel reiten ist in so weit sinnvoll, dass viele Reiter dazu neigen, viel zu viel Gewicht in die Steigbügel zu bringen. Durch das ständig gepredigte "Hacken runter!" in der Reitschule stemmen die meisten ihre Füße in die Steigbügel und sitzen so nicht im Schwerpunkt und können nicht locker in Bein und Hüfte mitschwingen. Ohne Steigbügel muss man das Gewicht gezwungenermaßen auf die Oberschenkel verteilen und kann so abgespeicherte Bewegungsmuster überschreiben :)
Tipp #4 - Beim Reiten filmen
Oft erscheint der eigene Sitz perfekt symmetrisch und ausbalanciert, mit der Bewegung mitgehend und ruhig. Aber wenn der/diejenige im Anschluss das Video vom eigenen Ritt sieht, ist der erste Satz meistens: "Oh Gott, sitz ich wirklich so schief?" oder auch "Sag mir bitte, dass das nicht wirklich so schlimm aussieht". Sicher ist das keine schöne Erkenntnis, aber niemand bleibt davon verschont. So kannst du erstmal eine "Bestandsaufnahme" machen und wirst dir vielleicht überhaupt erstmal bewusst, wo deine Baustellen liegen. Langfristig kannst du dann im Reitunterricht oder auch bei einer Sitzschulung gezielter an diesen Problemen arbeiten.
Auch hier nochmal die Anmerkung: Ein guter Sitz zeichnet sich nicht immer durch äußerliche Perfektion aus, sondern vielmehr geht er individuell auf das Pferd und seine Bedürfnisse ein. Die Form folgt der Funktion.
Tipp #5 - Bewusstes Lösen und Atmen (Die Kartoffelsack-Übung)
Eine Übung, um den ganzes Körper oder auch einzelne Teile zu lösen. Ich nutze sie gerne bei meinen "Sitzschülern", wenn diese zu viel Spannung im Hüftbereich haben und dadurch nicht mitschwingen können. Sie ist ganz einfach: Du spannst kurzzeitig die gesamte Muskulatur an und hältst das für wenige Sekunden - du wirst dabei automatisch den Atem anhalten. Dann atmest du aus und lässt mit einem Mal alles ganz locker (einfach wie ein Kartoffelsack fallenlassen - oder wie Wackelpudding). Bleibe auch so einige Sekunden auf dem Pferd sitzen. Einfach alles ganz locker hängen lassen. Danach finde in eine positive Spannung, bleibe aber in der Hüfte und in der Beinmuskulatur locker. Ganz nach dem Satz "Reite mit den Knochen": Versuche, deine Muskeln entspannt zu lassen. Beim Reiten arbeiten fast ausschließlich die sogenannten Core-Muskeln, also die Muskeln, die deinem Körper im Stehen Stabilität geben - du musst also nichts bewusst anspannen, eher entspannen.
Achte aus den eben genannten Gründen auch auf deine Atmung - vertiefe sie immer wieder und atme ganz entspannt und ruhig. So kannst du entspannt bleiben - physisch und psychisch.
Dein größter Kritiker ist dein Pferd - nur mit einem ausbalancierten Reiter kann es seine Balance finden!⚖️
Kategorien: Pferdegerecht | Schlagworte: Blickschulung, Do it yourself, Muskelaufbau, Reiten, Reitersitz, Sitzschulung, Trainingsimpulse