Was wäre, wenn... Bolero beim Kauf reitbar gewesen wäre?
21.08.2020
Als ich Bolero damals (im Mai 2019) übernommen habe, war sein Rücken in einem wirklich schlechten Zustand. Durchgesessen, unbemuskelt, eingefallen; die Bauchmuskulatur stark verspannt und vom restlichen Körper gar nicht erst zu reden...
Bolero im März 2019
Logischerweise bin ich ihn nicht geritten - ohne Muskulatur undenkbar. Auch jetzt reite ich ihn noch nicht, denn wir arbeiten immer noch am Aufbau von Gewicht und Muskulatur, damit er den Reiter später problemlos tragen kann und nicht (noch weitere) körperliche Schäden davonträgt.
Aber, was wäre gewesen, wenn Bolero im Mai 2019 reitbar gewesen wäre? Wenn er gut bemuskelt gewesen wäre und ich ihn ganz normal hätte reiten können? Nun ja, um es kurz zu fassen: Er wäre spätestens jetzt trotzdem nicht mehr reitbar gewesen.
Aber, durchdenken wir das Szenario einmal in Ruhe: Boleros damaliger Sattel war unpassend für seine Körperform, zu lang und einfach nicht geeignet. Man sieht deutlich den Sattelabdruck auf seinem Fell (obwohl er 24h lang nicht drauflag). Das ist ein eindeutiges Indiz dafür, dass der Sattel nicht passt.
Für dieses kleine Gedankenexperiment gehe ich jetzt aber auch mal davon aus, dass er gut genährt war, der Sattel super passte und er auch gesundheitlich total fit war, d.h. auch kein Kotwasser oder Durchfall.
Rückblick - Was habe ich damals mit ihm gemacht?
Bevor ich gesehen habe, dass seine Muskulatur immer weniger wird, bin ich ihn nur geritten und habe (fast) gar keine Bodenarbeit gemacht. Ich war auch nur ausreiten und fast nie auf dem Platz - gymnastiziert habe ich also auch sehr wenig. Ich habe keine Notwendigkeit zur Bodenarbeit gesehen und bin lieber mit dem Pony über die Felder gefetzt.
Wir waren immer am langen Zügel unterwegs, viel Schritt & Galopp, kaum Trab (ich mochte das nicht, weil ich es nicht sitzen konnte) - der Galopp aber nie wirklich ruhig sondern immer nur fetzen (wobei das vielleicht anders gewesen wäre, wenn er besser bemuskelt gewesen wäre...).
Was wäre geschehen, wenn er reitbar gewesen wäre?
Hätte ich ihn also gut bemuskelt übernommen, wäre ich wahrscheinlich weiterhin nur geritten. Größere Ausritte, vielleicht auch mit der Zeit öfter mal Platzarbeit. Bodenarbeit etwa 2x im Monat, zum Beispiel Stangenarbeit an der Longe oder auch mal ein bisschen Spazieren. Vielleicht hätte ich auch andere Sachen für mich entdeckt, aber das ist unwahrscheinlich - es wäre einfach nicht notwendig - Veränderung kommt nicht, wenn man keinen Anreiz hat.
Nunja, was wäre also passiert? Lange Geländeritte am langen Zügel, etwa 4-5x die Woche - das klingt doch nicht verkehrt?
Doch, denn Bolero wäre weder ausreichend gymnastiziert noch sinnvoll "gegengearbeitet" worden, sodass er das Gewicht auf Dauer nicht gesund hätte tragen können. Somit wäre der Rücken immer fester geworden und es wäre eine Spirale in Kraft getreten, die zum deutlichen Muskelabbau geführt hätte. Der Rücken hätte sich abgesenkt und von da an geht alles sehr schnell. Und in diesem Moment der Trageerschöpfung hilft auch Reiten nicht mehr, im Gegenteil, es macht es noch schlimmer.
Warum wäre er jetzt (temporär) nicht mehr reitbar?
Das Problem bei diesem Szenario wäre gewesen, dass ich kaum Ahnung von Gymnastizierung und wirklich gesunderhaltendem Reiten hatte. Einfach nur durchs Gelände bummeln hält Pferde leider nicht fit - denn sie sind nicht dafür konzipiert, Gewicht auf ihrem Rücken zu tragen. Sie brauchen sinnvolles Training und Abwechslung, damit die Muskeln gesund arbeiten können und nicht dauerhaft belastet werden.
Durch das fehlende Wissen hätte ich dasselbe gemacht wie die damaligen Besitzer und Co.: Ich wäre geritten, bis sein Rücken so ausgesehen hätte wie oben (okay, ich hätte es definitiv früher gemerkt) und wäre dann auf die Idee der Bodenarbeit gestoßen - unsere Geschichte hätte sich also einfach nur nach hinten verschoben.
Alles Schlechte hat etwas Gutes
... das schließe ich aus diesen Gedanken. Denn nur durch Boleros Rückenprobleme und die Tatsache, dass ich ihn nicht reiten wollte, bin ich heute so rundum gebildet in vielen Themen der Pferdewelt. Dass ich Tipps geben kann zu vielen Bereichen der Frei- und Bodenarbeit, dass ich mich täglich weiterbilde und ihn gesund gymnastiziere und wieder aufbaue. Auch dass ich so viele Leute auf Instagram inspiriere, wäre mit einem "08/15"-Reitaccount nicht möglich gewesen. Boleros "Handicap" hat mich gezwungen, über den Tellerrand hinauszublicken und mich weiterzubilden. Ohne dieses (angebliche) Problem würde dieser Blog vermutlich nicht einmal existieren (zumindest nicht über Pferde). Der Trend geht zur Bodenarbeit, zum Miteinander, zu bewusster Partnerschaft. Und ich bin unglaublich froh, ein Teil dieses Wandels zu sein.
Alles Schlechte hat etwas Gutes - aber manchmal sehen wir es erst hinterher. Lass die Dinge geschehen, die auf dich zukommen, sei bereit für Veränderungen. Hab Vertrauen in dich selbst (und dein Pferd)❤
Hattest du schon mal so eine Situation, die in diesem Augenblick total negativ erschien, dich aber positiv verändert hat? Lass es mich gerne ich den Kommentaren wissen!
Ganz viel Liebe,
Toni und Bolero
P.S: Danke Bolero, dass du mir gezeigt hast, dass alles seinen Grund hat❤
Kategorien: Pferdegerecht | Schlagworte: Frei- und Bodenarbeit, Gedankenexperimente